EfA-PrinzipVon Einzeltaten zu Gemeinschaftslösungen

[18.03.2021] EfA-Dienste gemeinsam erfolgreich umsetzen – so lautet der Titel eines Vortrags, den Jörn Riedel, CIO der Freien und Hansestadt Hamburg, auf dem IT-Planungsratskongress gehalten hat. Kommune21 hat sich im Vorfeld erkundigt, wie das Einer-für-alle-Prinzip genau zu verstehen ist und wie die Organisation abläuft.
Hamburgs CIO Jörn Riedel

Hamburgs CIO Jörn Riedel

(Bildquelle: Wegweiser Media & Conferences GmbH/Zöhre Kurc)

Herr Riedel, der IT-Planungsrat hat sich beim Onlinezugangsgesetz (OZG) auf das Einer-für-alle-Prinzip verständigt: Ein Bundesland entwickelt eine Online-Lösung, die anderen sollen sie übernehmen. Wovon ist der Erfolg einer solchen Gemeinschaftslösung abhängig?

Der Erfolg ist von zweierlei abhängig: Erstens, dass es uns gelingt, die benötigten Querschnittsinfrastrukturen zustande zu bringen, um die einzelnen Anwendungen von der Kenntnis der detaillierten technischen Schnittstellen frei zu halten. Ich kann nicht in jede Anwendung, die heute in den Ländern entsteht, hineinprogrammieren, welches Servicekonto etwa die Stadt X oder welche Bezahlschnittstelle die Gemeinde Y hat und welche Adresse für einen Datensatz in Z gilt. Hier benötigen wir eine technische Zwischenschicht, wie sie heute schon bei den interoperablen Servicekonten besteht. Dort vermittelt die Metadaten-Infrastruktur FINK (Föderiertes Identitätsmanagement interoperabler Nutzerkonten in Deutschland) automatisch zwischen den verschiedenen Servicekonten. Ganz ähnlich muss man sich alle anderen Querschnittsinfrastrukturen vorstellen. Der zweite Erfolgsfaktor besteht darin, dass die Verwaltungen ihre Leistungen nicht nur als Produkt für andere Verwaltungen oder Kunden begreifen. Vielmehr geht es darum, dass das jeweilige Land oder die Kommune auch den Prozess der Fortentwicklung, Pflege und den Betrieb organisieren muss. Das sind die beiden Kernherausforderungen. Aber ich bin sehr optimistisch, dass wir dies in der verbleibenden Laufzeit auch umsetzen werden.

Wie weit sind denn die Bundesländer mit dem Aufbau und der Verfügbarkeit dieser Querschnittsinfrastruktur? Man hört immer von Microservices, Container-Architektur und Open Source. Wie ist es darum bestellt?

Es wäre ein falsches Bild, sich vorzustellen, dass Container in 500 kommunalen Rechenzentren angeliefert und angeschlossen werden. Container-Technologie wurde ja nicht erfunden, um die Anwendungen zu verteilen, sondern um in einem Rechenzentrum neue Anwendungen und Versionen blitzschnell einspielen zu können: Software as a Service. Die Querschnittsinfrastrukturen müssen eben nicht in jedem Bundesland aufgebaut werden. FINK haben wir auch nur einmal aufgebaut, das deutsche Verwaltungsdiensteverzeichnis DVDV existiert ebenfalls nur einmal. Dementsprechend brauchen wir auch eine zentrale Drehscheibe, die den Zugang zu den dezentralen Bezahlschnittstellen sicherstellt. Die einzelnen Verfahren werden dann darauf zugreifen. Hierfür gibt es aus meiner Sicht keine Alternative. Denn das würde ja bedeuten, dass jedes Verfahren von allen Entitäten in der Bundesrepublik die technischen Adressen kennt, verwaltet und jede Änderung nachvollzieht. Das wäre nicht realistisch.

Die Bundesländer sind im OZG für bestimmte Themenfelder und für entsprechende Lösungen zuständig. Wie ist der Betrieb der technischen Lösungen organisiert?

Das eine folgt aus dem anderen. Beim Themenfeld Unternehmensführung und -entwicklung, wofür Hamburg zuständig ist, werden die Dienste auf der OSI-Plattform gehostet, die unser IT-Dienstleister Dataport für die Nordländer betreibt. Natürlich könnte ein für eine Anwendung federführendes Land auch die Dienstleister der anderen Länder beauftragen, diesen Dienst zu betreiben. Das wäre zwar denkbar, aber ein Dienstleister vor Ort kennt ja die eigenen integrierten Prozesse normalerweise besser.

„Ich bin davon überzeugt, dass eine EfA-Lösung immer die wirtschaftlichste sein wird.“
Immer wieder ist zu vernehmen, dass einzelne Bundesländer und auch kommunale IT-Dienstleister nicht gleich alles über Bord werfen wollen, was bereits läuft und gut funktioniert. Wie groß ist also die Bereitschaft in den Ländern, die OZG-Dienste der anderen zu übernehmen?

Für die einzelnen IT-Dienstleister zu sprechen, wäre jetzt vermessen. Für Dataport kann ich sagen, dass das nicht stimmt. Um es deutlich zu formulieren: Die Länder kümmern sich sehr engagiert um die fachlichen Kapitel. Ich glaube, die größere Herausforderung besteht in der Akzeptanz. Auch die Leistungen, die von anderen geliefert werden, müssen akzeptiert werden. Dass etwas nicht vor Ort erfunden wurde, kann nicht den ganzen Geschäftsprozess infrage stellen. Eine Baumfällgenehmigung, die in einem Bundesland vollständig rechtskonform entwickelt wurde, gilt auch anderswo. Die jeweiligen Besonderheiten müssen durch Parametrisierung abgebildet werden. Diesen Erkenntnisprozess muss man in die eigene Organisation vermitteln.

Andererseits sind Services wie der Bewohnerparkausweis doppelt und dreifach entwickelt worden. Es sieht nicht danach aus, als hätten die Länder einen sehr großen Einfluss auf den Schaffensprozess auf der kommunalen Ebene …

Die Kommunen sind – wir kennen alle das Grundgesetz – unabhängig. Wenn eine Kommune sich entscheidet, am OZG oder an einzelnen Diensten nicht teilzunehmen, dann nimmt sie daran nicht teil. Man kann Kommunen nicht dazu zu zwingen. Ob es sich allerdings ein Oberbürgermeister dauerhaft leisten kann, dass die Bürger seiner Stadt nicht elektronisch umziehen können und zwei Mal zum Amt gehen müssen, ist fraglich. Oder wenn in seiner Kommune die Unternehmen zum Gewerbeamt laufen müssen, um eine Container-Genehmigung für eine Baustelle zu erhalten, dann regelt sich das am Ende ein bisschen im Selbstlauf.

Bislang sind Entwicklung und Umsetzung von Verwaltungslösungen finanziell abgedeckt, auch durch das aktuelle Konjunkturpaket. Wer kommt später für den laufenden Betrieb auf?

Es gibt in Ländern und Kommunen gerade eine intensive Diskussion über die späteren Betriebskosten. Das ist noch nicht grundsätzlich geklärt. Normalerweise gilt: wer bestellt, zahlt. Dafür spricht auch vieles. Denn derjenige, der bezahlt und sich eine Lösung mit vielen teilt, zahlt weniger, als wenn er es alleine macht. Hier vielleicht ein Beispiel: Wir haben in Hamburg das Projekt Ummeldung übernommen, also die Aktualisierung des Personalausweises bei Umzug. Wenn wir das nur für Hamburg entwickeln und betreiben würden, beträfe das in Hamburg maximal 200.000 Umzüge im Jahr. Dann kämen wir auf einen Stückkostenpreis von ungefähr zwei Euro. Wenn wir das allerdings bundesweit anbieten, steigen die Produktionskosten nur minimal. Bei bundesweit angenommenen zwei Millionen Fällen lägen wir im Vergleich bei einem Stückkostenpreis von 25 bis 30 Cent. Diese Kostendegression gilt so sicher nicht für jedes Verfahren. Aber die Frage ist doch, will ein Bundesland und eine Kommune einen elektronischen Dienst, der heute nach Gesetz und Recht möglich geworden ist, umsetzen oder nicht? Und was ist die wirtschaftlichste Lösung? Ich bin überzeugt, dass dies immer eine EfA-Lösung sein wird.

Wie steht es um die Ausfallsicherheit, wenn Leistungen bundesweit in einzelnen Rechenzentren gehostet und betrieben werden?

Wir reden ja nicht über Atomkraftwerke. Bei den 180 Online-Diensten, die wir im Augenblick live auf unserer Plattform haben, gibt es nur einen, bei dem es wirklich um Leib und Leben geht, nämlich den Brandbettennachweis für Rettungsdienste. Diese Leistung muss eine sehr hohe Verfügbarkeit haben. Beim lokalen Ausfall eines anderen Dienstes wird niemand gefährdet. Wenn beispielsweise nachts die Sondernutzungsgenehmigung für das Aufstellen von Tischen auf Gehwegen vor Restaurants entfällt, steht sie bestimmt am nächsten Tag wieder zur Verfügung. Die Plattformen, die die Länder betreiben, sind ohnehin darauf ausgelegt, hochverfügbar zu sein. Insofern ist dies keine neue Anforderung.

Interview: Helmut Merschmann




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik
viele Personen sitzen an einem langen Tisch in U-Form

Hamburg: Zukunftsprojekte schneller umsetzen

[10.09.2025] Planungs- und Genehmigungsverfahren für Modernisierungsvorhaben müssen in Deutschland beschleunigt und vereinfacht werden. Wie das gelingen kann, darüber hat sich die Freie und Hansestadt Hamburg nun mit dem Bund beraten. mehr...

Eingangstür des ITDZ Berlin

Berlin: Neues Finanzmodell für das ITDZ

[08.09.2025] Der Berliner Senat will mit einer Gesetzesänderung dem ITDZ Berlin mehr Planungssicherheit geben. Künftig soll der zentrale IT-Dienstleister Rücklagen für Investitionen bilden können; zugleich erhält der Verwaltungsrat mehr Kontrolle über die Preisgestaltung. mehr...

Digitale Souveränität: Gipfel als Signal für Zusammenarbeit in Europa

[03.09.2025] Das deutsche und das französische Digitalministerium laden im November zu einem europäischen Treffen in Berlin ein. Im Mittelpunkt steht die digitale Souveränität. Das Zusammentreffen soll den Austausch fördern, wie Innovationen und digitale Kompetenzen Europas Zukunft sichern können. mehr...

Porträtaufnahme von Fabian Mehring

Bayern: Pilotkooperation mit dem Bund

[01.09.2025] Bayern und der Bund wollen im Herbst eine Pilotkooperation mit mehreren gemeinsamen Projekten starten. Die Schwerpunkte werden dabei die Digitalisierung der Verwaltung und der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) sein. mehr...

Niedersachsenross (steigendes weißes Pferd) aus sich überlappenden Glasplatten als Wanddekoration im Niedersächsischen Landtag.

Niedersachsen: Innenministerium bündelt Digitalpolitik

[29.08.2025] Ab September 2025 erhält Niedersachsen erstmals eine Digitalisierungsstaatssekretärin: Anke Pörksen soll im Innenministerium Kompetenzen bündeln, den OZG-Ausbau vorantreiben und die neue Digitalstrategie mit dem Prinzip Digital First in allen Ressorts verankern. mehr...

Blick von oben auf Asphalt, darauf mit Kreide das Wort "Start, An der unteren Bildkante sieht man die Spitzen von zwei Sneakern.

BMWE: Erste Schritte zu einer Start-up-Strategie

[20.08.2025] Mit einer neuen Strategie sollen die Rahmenbedingungen für Start-ups und Scale-ups in Deutschland verbessert werden. Das BMWE hat dazu nun einen Online-Beteiligungsprozess gestartet, der sich vor allem an die Start-Up-Community richtet. mehr...

Peter H. Ganten – CEO Univention und Vorstandsvorsitzender der Open Source Business Alliance

OSBA: Bund tut zu wenig für Open Source

[19.08.2025] Eine erkennbare strategische Ausrichtung der Bundesregierung auf Open Source Software ist in den ersten 100 Tagen im Amt ausgeblieben, bemängelt die Open Source Business Alliance (OSBA). Zudem blieben zentrale Projekte wie ZenDiS oder openDesk nur gering finanziert. mehr...

BMDS: Das neue Ministerium organisiert sich

[18.08.2025] Das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung hat ein neues Organigramm veröffentlicht, in dem Leitungen und Zuständigkeiten festgelegt sind. Querschnittsaufgaben werden in einer Serviceabteilung gebündelt. Auch ein endgültiger Standort wurde gefunden. mehr...

Bundesdigitalminister Karsten Wildberger, im Schatten unter Bäumen, im Hintergrund ein Kanal.

BMDS: Viel Fortschritt in 100 Tagen

[15.08.2025] Das neue Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung soll Digital- und Modernisierungsprojekte bündeln und schneller vorantreiben. In einer ersten Bilanz meldet das Ministerium Fortschritte beim Aufbau der eigenen Organisation und bei zentralen Vorhaben. mehr...

Große, nüchterner Raum mit U-förmiger Tischanordnung, an der Menschen in Anzügen sitzen.

Thüringen: Digitalkabinett startet Digitaloffensive

[14.08.2025] Das neue Digitalkabinett Thüringens hat bei seinem ersten Treffen einen Praxis- und Digitalcheck auf Open-Source-Low-Code-Basis, klare Regeln für generative KI und eine Thüringen-App angekündigt. Zudem soll der Zuständigkeitsfinder alle Verwaltungsleistungen bündeln. mehr...

Digitalisierungsminister Dirk Schrödter hat die neue Digitalstrategie für Schleswig-Holstein in Kiel vorgestellt.

Schleswig-Holstein: Impulspapier zum Deutschland-Stack

[14.08.2025] Schleswig-Holstein legt ein Impulspapier zum Deutschland-Stack vor und will gemeinsam mit dem Bund offene Standards, zentrale Basisdienste und dezentrale Fachlösungen für Verwaltung, Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger entwickeln. mehr...

Eine Reihe von Flaggenmasten mit EU-Flaggen vor einer modernen Fassade.

Bitkom: Digitale Verwaltung im EU-Vergleich weit hinten

[13.08.2025] Der Bitkom hat seinen aktuellen DESI-Index vorgelegt, der EU-weit Daten zur Digitalisierung auswertet. Deutschland klettert demnach um zwei Plätze auf Rang 14, bleibt aber leicht unter dem Durchschnitt. In der digitalen Verwaltung liegt die Bundesrepublik mit Platz 21 weit hinten. mehr...

Porträt von Lydia Hüskens, mit verschränkten Armen im dunklen Blazer vor einer braunen Wand stehend

Sachsen-Anhalt: Digitalstrategie 2030 zeigt Wirkung

[08.08.2025] Sachsen-Anhalt meldet im vierten CIO-Bericht deutliche Fortschritten bei der Digitalisierung: Über 200 Onlinedienste sind inzwischen verfügbar, zahlreiche Ziele der Digitalstrategie werden umgesetzt, Breitband- und 5G-Netze wachsen weiter, sichere und effiziente Behördenarbeitsplätze entstehen. mehr...

Porträt des NKR-Vorsitzenden Lutz Goebel vor dunklem Hintergrund.

NKR/Bund: Staatssekretärsausschuss mit erweiterten Aufgaben

[05.08.2025] Mit erweitertem Mandat soll der Staatssekretärsausschuss für Bürokratieabbau künftig auch zentrale Aufgaben der Staatsmodernisierung übernehmen. NKR-Chef Lutz Goebel begrüßt den Schritt, mahnt aber rasche Umsetzung konkreter Strukturreformen und Fortschritte beim BMDS an. mehr...

Eine rote Flagge mit weißem Kreuz (Dänemark-Flagge) weht vor blauem Himmel von rechts nach links.

Open-Source-Transformation: Von Dänemark lernen

[04.08.2025] Die öffentliche Verwaltung Dänemarks will auf Open Source Software umsteigen, um die digitale Souveränität zu schützen. Treiber ist die Sorge vor geopolitischen Abhängigkeiten. Erste konkrete Schritte kommen aus Kopenhagen, Aarhus und dem Digitalministerium. Die OSBA berichtet. mehr...