GutachtenArchaische Strukturen überwinden

Gutachten: Die Corona-Pandemie hat die Defizite Deutschlands bei der Digitalisierung offengelegt.
(Bildquelle: BMWi)
Ein Gutachten zum Thema „Digitalisierung in Deutschland – Lehren aus der Corona-Krise“ hat der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) veröffentlicht. Es zeigt Wege auf, wo und in welchen Bereichen sich der Staat stärker engagieren sollte, um Fortschritte des aktuellen Digitalisierungsschubs auch nach der Pandemie zu erhalten und die digitale Transformation voranzutreiben.
Insgesamt zieht der Beirat ein schonungsloses Urteil, das teilweise regelrecht verheerend ausfällt. Deutschland sei sowohl beim Ausbau der digitalen Infrastruktur als auch beim Einsatz digitaler Technologien und Dienstleistungen hinter viele andere OECD-Staaten zurückgefallen, heißt es. Zwar habe die Corona-Krise im vergangenen Jahr zu einem erheblichen Digitalisierungsschub geführt, es sei aber nur in wenigen Bereichen gelungen, innerhalb kurzer Zeit auf digitale Kommunikation und die Nutzung digitaler Prozesse umzustellen. So habe etwa die Homeoffice-Nutzung im Zuge der Pandemie stark zugenommen. „In anderen Bereichen, zum Beispiel dem Schul- und Gesundheitswesen, gelang dies nur mühsam oder so gut wie gar nicht“, konstatiert der Bericht.
„Die Corona-Pandemie hat den Rückstand Deutschlands bei der digitalen Transformation in vielen Bereichen schonungslos offengelegt. Sie hat überall dort Defizite aufgezeigt, wo deutsche Institutionen – Verwaltungen, Unternehmen, Schulen, Hochschulen, Gerichte – ihren längst erkannten und ausführlich diskutierten Aufgaben zur Digitalisierung der Abläufe über lange Zeit nicht nachgekommen sind“, kommentiert der Beirat in seinem Gutachten.
Fälle von Organisationsversagen
Zahlreichen Bereichen attestiert das Gutachten gar verschiedene Formen von Organisationsversagen: „Vieles von dem, was während der Corona-Pandemie in kurzer Zeit umgesetzt wurde, hätte auch schon lange vor der Krise unternommen werden können. Doch erst in der Krise sahen sich Unternehmen, Verwaltungen und Haushalte gezwungen, Arbeitsabläufe auf einen digitalen Modus umzustellen.“
Darüber hinaus spielen nach Ansicht des Beirats juristische und bürokratische Hemmnisse eine wichtige Rolle dabei, dass der Prozess der Digitalisierung hierzulande stockt. Der Datenschutz werde in Deutschland oft als Wert angesehen, der in der Abwägung mit anderen Rechtsgütern absolute Priorität genieße. Dies habe die Nutzung digitaler Möglichkeiten während der Corona-Krise stark eingeschränkt. Zudem hätten Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern die Einführung einheitlicher Verfahren und Standards insbesondere in der öffentlichen Verwaltung erheblich verzögert.
„Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie der Staat die Erfahrungen mit der Digitalisierung aus der Corona-Krise nutzen kann, um die in Deutschland vergleichsweise langsam ablaufende digitale Transformation in die gewünschte Richtung zu lenken und zu beschleunigen“, heißt es in dem Gutachten. „Dafür sollte der Staat den Ausbau der notwendigen Infrastruktur zügig vorantreiben. Er sollte bürokratische Hindernisse minimieren und einen Regulierungsrahmen schaffen, der Digitalisierung erleichtert, fördert und ihren wohlfahrtssteigernden Wirkungen zum Durchbruch verhilft.“
In archaischen Denkweisen verhaftet
Die Strukturen und Prozesse der öffentlichen Verwaltung hätten sich als wesentliche Hemmnisse für eine effektive Digitalisierung erwiesen, urteilt der Beirat. Das Koordinations- und Organisationsversagen der öffentlichen Hand in Deutschland sei mehrfach im Rahmen internationaler Vergleiche aufgezeigt worden. Die Pandemie habe nun in vielen Fällen zu Verbesserungen geführt, weil die Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung und Umsetzung plötzlich im Vordergrund standen. Die Bewältigung der digitalen Transformation in der öffentlichen Verwaltung ist dabei nach Ansicht des Beirats nur zum Teil eine Frage der finanziellen Ressourcen. „Auch eine massive Erhöhung der zur Verfügung stehenden Mittel könnte keine Beschleunigung bewirken, wenn nicht gleichzeitig Abläufe bei Planung und Umsetzung vereinfacht und Aufgaben besser verteilt werden“, heißt es.
Mittelfristig könnten im föderalen System länderübergreifende Rahmenregelungen zu einer schnelleren, effizienteren und einheitlichen Umsetzung der Digitalisierung der Verwaltung beitragen. Zudem müsse die Führung der jeweiligen Organisationseinheiten deutlich verbessert werden. „Deutschland leistet sich in der öffentlichen Verwaltung Strukturen, Prozesse und Denkweisen, die teilweise archaisch anmuten“, kritisiert der Beirat. „Die gängigen Verwaltungsabläufe stehen in vielen Fällen noch im Zeichen von Aktenlaufplänen, sequenzieller Bearbeitung und strikt hierarchisch geordneten Arbeitsverhältnissen. Möglichkeiten der Team-Arbeit werden in der öffentlichen Verwaltung noch zu selten ergriffen. Zudem können gerade im Prozess der Digitalisierung projektbasierte Organisationsformen häufiger zum Einsatz kommen, als es derzeit der Fall ist.“
Vor allem aber mangele es an Nutzerorientierung. „Viele Digitalisierungsansätze – zum Beispiel im Fall des digitalen Personalausweises – sind daran gescheitert, dass dem realen Nutzerverhalten keine ausreichende Beachtung geschenkt wurde. Moderne Management- und Verwaltungsansätze sind in der Praxis deutscher Verwaltungen selten, während sie in anderen Ländern, wie Benelux, Skandinavien oder den USA, längst Einzug gehalten haben und sogar nachhaltig verankert worden sind.“
Finanzmittel sind kein Allheilmittel
Die Politik stehe bezüglich der digitalen Transformation also noch vor wichtigen Aufgaben, so das Fazit des wissenschaftlichen Beirats. Es bedürfe dringend weiterer Investitionen in die digitale Infrastruktur, vor allem in Schulen, Hochschulen, Gerichten, öffentlicher Verwaltung und im Gesundheitssektor. Ein Fehler wäre es jedoch, sich auf den Mitteleinsatz allein zu konzentrieren. „Wie dieses Gutachten an mehreren Beispielen gezeigt hat, beruht der Rückstand Deutschlands bei der Digitalisierung oftmals weniger auf fehlenden finanziellen Mitteln oder Marktversagen, sondern auf verschiedenen Formen von Organisationsversagen“, betont der Beirat. Vor allem diese gelte es nun zu beheben, Organisationen und Prozesse zu reformieren und auf ihre digitale Eignung hin zu überprüfen. Des weiteren seien einfache Verwaltungsabläufe sowie klare politische und unternehmerische Führung notwendig. Diesen Aspekten wird nach Ansicht des Beirats in der derzeitigen politischen Diskussion zu wenig Beachtung geschenkt.
Die nächsten Schritte
Der Beirat empfiehlt der Politik sowie Verwaltungs- und Behördenleitungen, die in der Krise getroffenen, meist zeitlich befristeten Entscheidungen zugunsten einer Flexibilisierung von Kommunikationsprozessen und Abläufen in den kommenden Monaten sorgfältig auf den Prüfstand zu stellen. Einen automatischen Rückschritt zu den vor der Krise üblichen Vorgaben und Vorgehensweisen gelte es zu verhindern. Auch sollten am Beispiel des Bildungssystems vereinfachte Verwaltungsabläufe und effektivere Zuständigkeitsverteilungen in einem Staatsvertrag festgelegt und länderübergreifende Rahmenregelungen und Standards getroffen werden, so etwa zur einheitlichen Rechtsauslegung bei der Bereitstellung datenschutzkonformer digitaler Kommunikationsplattformen. Eine weitere Aufgabe sei es, das Datenschutzrecht auf deutscher und europäischer Ebene effektiver auszugestalten.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier begrüßt die Empfehlungen: „Allein im vergangenen Jahr haben die Telekommunikationsunternehmen fast zehn Milliarden Euro in die Netzinfrastruktur investiert. Im Konjunktur- und Zukunftspaket hat die Bundesregierung mit 16 Milliarden Euro einen Schwerpunkt auf die weitere Digitalisierung gelegt. Der Beirat weist aber zu Recht daraufhin, dass Finanzmittel allein noch kein Allheilmittel sind. Genauso braucht es mehr Bereitschaft zu Veränderungen und verbesserte organisatorische Abläufe. Dies gilt für den Staat wie für Unternehmen. Unbürokratische und dezentrale Lösungen, die der Beirat etwa für die Arbeit im Homeoffice befürwortet, können uns hierbei weiterbringen.“
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