Smart Country ConventionKein Ende in Sicht
Fast scheint es, als sei die Verwaltungsdigitalisierung eine Fata Morgana: Je mehr man sich dem selbstgesetzten Ziel nähert, desto weiter rückt es in die Ferne. Das gilt insbesondere für das Onlinezugangsgesetz (OZG), das bis Ende des kommenden Jahres 575 zu realisierende Online-Dienste bei Bund, Ländern und Kommunen vorschreibt. Und wie bei einer echten Fata Morgana handelt es sich dabei nicht um eine Sinnestäuschung, wenn die Hauptakteure nun feststellen, dass das alles nicht mehr zu schaffen ist, sondern um quasi physikalische Phänomene. Großen Antrieb und viel Schwung hat das OZG in die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen gebracht, doch nun ist klar, dass Zeit und Kraft nicht mehr ausreichen, um fristgerecht und flächendeckend liefern zu können. Infolgedessen gilt das OZG nun als „hervorragende Grundlage“ und als „Beginn“ einer weiter andauernden Beschäftigung mit der öffentlichen Digitalisierung.
Zum Eindruck einer Fata Morgana trägt auch bei, dass – obwohl nun einige wichtigen OZG-Leistungen online verfügbar sind – die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Digitalisierung laut aktuellem eGovernment Monitor 2021 zugenommen hat (wir berichteten). Die Zeit bleibt nicht stehen, und je mehr sich die Menschen an elektronische Dienste aus der Wirtschaft gewöhnt haben, desto größer wird die Erwartungshaltung gegenüber der Verwaltung. Der öffentliche Sektor muss liefern – auch hierin besteht auf Veranstaltungen wie der Smart County Convention große Übereinkunft – und gleichzeitig die Zukunft weiterplanen. Das OZG betrifft ja nur die Schnittstelle vom Bürger zur Verwaltung. Darüber hinaus müssen die Fachverfahren angepasst, die Register modernisiert und nach dem Once-Only-Prinzip ausgerichtet werden.
Lohnender Blick nach Estland
Hier lohnt ein Blick ins Baltikum, nach Estland, von dem es immer heißt, die dortigen Verhältnisse seien nicht übertragbar auf das föderal organisierte Deutschland. Und wo die Kindesgeburt schon seit Jahren eine Kette von automatisierten Verwaltungsakten und Registerzugriffen in Gang setzt, sodass gleich am Folgetag der Bescheid über Sozialleistungen im Mail-Postfach liegt. Henrik Lume von der estnischen Beratungsfirma Nortal benannte in einem Vortrag die vier digitalen Erfolgsfaktoren des kleinen Landes, die recht vernünftig klingen: Erstens eine hohe Datenqualität nach stringenten Mustern, zweitens eine einheitliche elektronische ID, drittens elektronische Signaturen als Schriftformersatz und viertens Interoperabilität zwischen Staat und Wirtschaft. Von allen Punkten ist man hierzulande noch weit entfernt, und dennoch sind sie die Voraussetzung für das weitere Gelingen.
In Estland hat man von Anbeginn auf den elektronischen Ausweis gesetzt, der gleichzeitig auch für wirtschaftliche Transaktionen wie Banking genutzt wird. 1,5 Milliarden Transaktionen werden damit pro Jahr in einem Land mit 1,2 Millionen Einwohnern getätigt. Hierzulande müssen Akteure wie Stephan Klein vom Unternehmen Governikus, das die Ausweis-App entwickelt hat, ständig daran erinnern, dass ein digitaler Pass längst vorliegt und es nun an der Zeit sei, diesen mit großem Marketing-Aufwand unters Volk zu bringen sowie seine Bedeutung und Funktion zu erklären.
Ohne die Privatwirtschaft geht es nicht
Als die US-Firma Apple unlängst die Möglichkeit eröffnete, Führerschein und Personalausweis digital in der so genannten Wallet auf dem iPhone zu hinterlegen, überkam viele ein ungutes Gefühl: Staatliche Hoheitlichkeit an Privatunternehmen abgeben? An diesem Einwand ist vielleicht nur richtig, dass man sie im Zuge der Sorge um digitale Souveränität nicht unbedingt einem amerikanischen Unternehmen anvertrauen sollte. Doch ohne die Privatwirtschaft geht es offenbar nicht voran.
Für Lars Zimmermann vom neu gegründeten GovTech Campus, einem Zusammenschluss von öffentlicher Verwaltung, Wissenschaft und Gründerszene, muss es Wege geben, damit „externe Innovationen in den Staat gelangen“. Der Staat sei kein Innovator und könne keine Technologien entwickeln, sondern diese nur bereitstellen und nutzen, so Zimmermann. Infolgedessen will sich der Campus ab nächstem Jahr als Marktplatz für die GovTech-Szene etablieren.
Weiter große Herausforderungen
Um weitreichende und wichtige Kooperationen mit der Privatwirtschaft kommt der öffentliche Sektor folglich nicht umhin. Das fängt bei GAIA-X mit den dominant auftretenden Hyperscalern an und hört beim IT-Mittelstand mit seinen etablierten Fachverfahren nicht auf. Die Aufgabenliste und damit die Herausforderungen wachsen weiter an. Allein das OZG hat viele bislang ungeklärte Fragen aufgeworfen: Wie sollen die Organisation und Finanzierung der Einer-für-Alle-(EfA)Dienste funktionieren? Wie können existierende Fachverfahren daran angebunden werden? Wer kommt für Pflege und Wartung der Systeme auf?
William Schmitt, Vitako-Vorstand und Vorstand des baden-württembergischen IT-Dienstleisters Komm.ONE, brachte die bundesweite govdigital-Genossenschaft, in der kommunale und öffentliche IT-Dienstleister und Städte organisiert sind, ins Spiel, um die OZG-Umsetzung zu beschleunigen: „Sinnvoll wäre eine gemeinsame Entität“, so Schmitt, „die die Power hat, den Leistungsaustausch zu betreiben“. Gedacht ist an einen Marktplatz für EfA-Dienste, Standards und Fachverfahren.
Abhängigkeiten auflösen
Auch aus europäischer Perspektive sind die nächsten Jahre entscheidend, um aus diesem Jahrzehnt tatsächlich eine „Digital Decade 2030“ zu machen. EU-Vizepräsidentin und Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager machte in ihrer Keynote deutlich, dass in Europa vor allem das Bewusstsein für Skalierung fehle. Es gebe Innovationen, Gründer und gute Ideen unter den vielen kleinen und mittelständischen europäischen IT-Unternehmen. Woran es jedoch hapere, sei schnelles Wachstum.
Tags zuvor hatte sich Vestager mit politischen Koalitionären getroffen, um Mitstreiter für die Regulierung der Tech-Giganten zu finden. Auf der Smart Country Convention betonte sie, dass Europa zu abhängig sei von Chips aus China und Software und Plattformen aus den USA. Sie versprach größere Investitionen in die Ausbildung von Expertinnen und Experten: „Man darf nicht nur Ziele definieren und Fördergelder bereitstellen, sondern wir brauchen vor allem fähige, gut ausgebildete Menschen“.
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