Schleswig-HolsteinDigitale Souveränität in der Praxis

Open Source-Lösungen in der Verwaltung funktionieren - das zeigt das Beispiel Schleswig-Holsteins.
(Bildquelle: Open Talk)
Während der Pandemie wurden Videokonferenzen nahezu über Nacht zum unverzichtbaren Arbeitsmittel – auch in der Landesverwaltung von Schleswig-Holstein. Während viele Behörden auf kommerzielle Plattformen setzten, entschied sich das nördlichste Bundesland für einen anderen Weg: Mit OpenTalk wird dort seit diesem Jahr flächendeckend eine Open Source-Videokonferenzlösung eingeführt, die speziell auf die Anforderungen des öffentlichen Sektors zugeschnitten ist. Die Lösung gehört zum Portfolio der Berliner Heinlein Gruppe.
Der Einsatz von OpenTalk war weit mehr als eine rein technische Entscheidung. Die Landesregierung verfolgt damit eine klare strategische Zielsetzung. Schleswig-Holstein möchte sich unabhängig machen von proprietären Anbietern, deren Geschäftsmodelle, Datenschutzrichtlinien und Hosting-Standorte außerhalb des europäischen Rechtsrahmens liegen. Diese Haltung ist Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Wandels: Digitale Souveränität wird zunehmend als Grundvoraussetzung für eine moderne Verwaltung verstanden – nicht als abstraktes Ideal, sondern als konkrete Anforderung an Infrastruktur und IT-Systeme.
Praxistauglichkeit als Erfolgsfaktor
Vor dem flächendeckenden Roll-out wurde OpenTalk in einem sechsmonatigen Proof of Concept in ausgewählten Landesbehörden mit über 200 Mitarbeitenden unter realen Bedingungen getestet – unter anderem auch vom Digitalisierungsminister selbst. Der Praxistest zeigte eine hohe Nutzerakzeptanz – auch wegen der intuitiven Benutzeroberfläche – und überzeugende Funktionalitäten, insbesondere mit Blick auf die Anforderungen des öffentlichen Dienstes. So ermöglicht es die mandantenfähige Architektur, alle Ministerien und Landesbehörden unter einem gemeinsamen System zu verwalten, ohne dass die organisatorische Trennung verloren geht. Ein weiterer Faktor für den Erfolg von OpenTalk in Schleswig-Holstein liegt in der nahtlosen Integration in die bestehende Verwaltungslandschaft. Während kommerzielle Videokonferenzlösungen oft als isolierte Inselsysteme funktionieren, wurde OpenTalk von Anfang an für die komplexen Anforderungen der öffentlichen Verwaltung konzipiert.
Sicherheit durch Transparenz
Ein zentrales Argument für Open Source-Lösungen ist ihre Transparenz. Das gilt auch für OpenTalk: der Quellcode ist öffentlich einsehbar und kann von IT-Sicherheitsexperten unabhängig geprüft werden. Dieses Prinzip der prüfbaren Sicherheit ist in Zeiten wachsender Cyberbedrohungen ein entscheidender Vorteil – gerade für Behörden, die täglich mit sensiblen Daten arbeiten. OpenTalk wird in Schleswig-Holstein vollständig On-Premises im BSI-zertifizierten Twin Data Center betrieben, unter Einhaltung aller Anforderungen der DSGVO. Alle Daten verbleiben ohne Abhängigkeiten von Cloud-Diensten Dritter in Deutschland und unterliegen dem deutschen Rechtsrahmen.
Wirtschaftlich nachhaltig und unabhängig
Auch wirtschaftlich bietet Open Source klare Vorteile. Schleswig-Holstein spart nicht nur laufende Lizenzgebühren, sondern investiert gezielt in Support und Wartung – also in konkrete Leistungen statt in proprietäre Nutzungslizenzen. Das schafft langfristige Kostentransparenz und Unabhängigkeit. Weiterentwicklungen kann das Land passgenau direkt beim Hersteller beauftragen. Gleichzeitig stärkt das Land mit seinem Engagement den deutschen Open Source-Sektor und fördert europäische Alternativen zu dominierenden US-Plattformen.
Ein Modell für ganz Deutschland
Mit der Entscheidung für OpenTalk setzt Schleswig-Holstein ein deutliches Signal: Digitale Souveränität ist machbar – und wirtschaftlich wie technisch sinnvoll umsetzbar. Rund 2.000 Mitarbeitende nutzen die Lösung bereits, bis Ende 2025 soll der Roll-out auf sämtliche Landesbehörden erfolgen. Das Projekt kann als Referenzmodell für andere Bundesländer und Kommunen dienen. Mit Schleswig-Holstein und Thüringen setzen gleich zwei Leuchtturm-Bundesländer auf OpenTalk und zeigen, dass Open-Source-Lösungen nicht nur in der Theorie überzeugen, sondern ganz konkret in der Praxis. Andere Länder und Kommunen sollten dieses Beispiel ernst nehmen. Die Frage ist nicht, ob Open Source-Lösungen in der Verwaltung funktionieren, sondern wann sie flächendeckend eingesetzt werden. Schleswig-Holstein hat bereits die Antwort gegeben.
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