BSI/OSBAWie digitale Souveränität erreicht werden kann

Offenkundige Missverständnisse um Äußerungen Claudia Plattners zeigen, dass digitale Souveränität differenziert betrachtet werden muss.
(Bildquelle: BMI/Henning Schacht)
Vor dem Hintergrund geopolitischer Herausforderungen erscheint die Abhängigkeit Deutschlands von Cloudlösungen, KI-Modellen und anderen Tech-Produkten aus dem Ausland zunehmend kritisch. Doch wie schnell ist das Ziel einer weitgehenden Unabhängigkeit – der digitalen Souveränität – erreichbar? Die Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Claudia Plattner, hält es für „unrealistisch“, dass Deutschland im Hinblick auf technologische Abhängigkeiten kurzfristig alles selbst können werde. Dies äußerte sie kürzlich gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa). Manche der großen Firmen, vor allem aus den USA, hätten jetzt schon zehn Jahre Vorsprung. Daher werde nach Einschätzung der BSI-Chefin auf Behördenseite eine Strategie gebraucht, nach der entschieden werde, welche Technologien von außen eingekauft werden und wie „eine gewisse Kontrolle darüber“ gewonnen werden könnte. Plattner verwies beispielhaft auf die im ersten Quartal 2025 geschlossene Kooperation des BSI mit Google (wir berichteten). Das differenzierte Statement der BSI-Präsidentin wurde von verschiedenen Medien aufgegriffen und dabei zum Teil stark verknappt wiedergegeben – der Tenor: digitale Souveränität sei „vorerst unerreichbar“.
Wir müssen nur wollen?
Auch die Open Source Business Alliance (OSBA), die als Bundesverband mehr als 240 Mitgliedsunternehmen der Open-Source-Wirtschaft vertritt, nahm auf diese zugespitzte Formulierung Bezug. In einem offenen Brief richten sich der Verband und rund 60 Mitunterzeichner direkt an Plattner. Zu den Unterzeichnern gehört neben zahlreichen branchennahen Verbänden und Unternehmen auch Schleswig-Holsteins Digitalisierungsminister Dirk Schrödter. Digitale Souveränität sei durchaus erreichbar, betont der Verband in seinem Schreiben, und zudem die Voraussetzung für Deutschlands Sicherheit, wirtschaftliche Stärke und eine eigenständige Zukunftsgestaltung. Es müsse um mehr als Schadensbegrenzung gehen, wenn man aus der „misslichen Lage erdrückender Abhängigkeiten“ herauskommen wolle. Dass US-Unternehmen technologisch avancierter seien als hiesige Firmen, stelle eine Wiederholung üblicher Marketing-Narrative dar, die Wirtschaft und Verwaltung vom Einkauf europäischer Lösungen abhielten. „Digitale Souveränität für Deutschland und Europa ist möglich, wir müssen sie nur wollen und beherzt vorantreiben“, wird der OSBA-Vorstandsvorsitzende Peter Ganten zitiert. Strategisch notwendig seien nun gezielte Investitionen in Open Source Software und eine Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand, die eine Nachfrage nach offenen, europäischen Lösungen schafft.
Doppelter Ansatz des BSI
Inzwischen hat sich Claudia Plattner zu Wort gemeldet. Das BSI halte die digitale Souveränität Europas keineswegs für unerreichbar: „Entsprechende Berichte weise ich entschieden zurück, das habe ich nie gesagt“, so Plattner gegenüber eGovernment. Stattdessen verfolge das BSI einen doppelten Ansatz, um digitale Souveränität zu ermöglichen. Auf der einen Seite müssten der europäische Markt und die hiesige Digitalindustrie gestärkt werden, auf der anderen Seite müssten aber außereuropäische Produkte bei Bedarf technisch angepasst oder eingebettet werden, sodass eine sichere und selbstbestimmte Nutzung möglich werde. Auch direkt an die OSBA wendet sich die BSI-Chefin via LinkedIn mit einer Klarstellung. Der Eindruck, sie oder ihre Behörde halte eine digitale Souveränität Europas für unerreichbar, sei lediglich durch eine Überschrift entstanden – die aber gar nicht widergebe, was sie im dpa-Interview gesagt habe.
Gemeinsame Interessenslage
In Europa gebe es durchaus Unternehmen, die in einigen Feldern bereits dabei seien, zu den Big Tech Companies aufzuschließen, so Plattner gegenüber der OSBA. Diese müssten unterstützt werden. Auch weil das BSI digitale Souveränität als das Vorhandensein von Optionen begreift: Je mehr vertrauenswürdige Produkte verfügbar seien, desto souveräner könne man sich entscheiden. Eben in diesem Zusammenhang gelte es, Open Source Software zu stärken und strategisch weiterzuentwickeln – und auch, bestehende Defizite von Open-Source-Lösungen zu beheben.
Letzten Endes sind die Positionen der OSBA und des BSI also wohl gar nicht so weit voneinander entfernt, wie es zunächst den Anschein hatte. Das direkte Gesprächsangebot, das die BSI-Chefin der OSBA gemacht hat, wurde vom Verband inzwischen angenommen.
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