Cloud-StrategieBundeskanzleramt verwirft Deutsche Verwaltungscloud

[27.06.2024] Mit einem ungewöhnlichen Schritt brüskiert das Kanzleramt alle Initiativen rund um die Deutsche Verwaltungscloud und drängt die Bundesländer zu einem Vertragsabschluss mit Delos, einer in Deutschland betriebenen Variante der Microsoft Azure Cloud.
Ministerien und Ämter des Freistaats Bayern können künftig Anwendungen aus der  Kubernetes-Cloud nutzen.

Begräbt das Bundeskanzleramt die Deutsche Verwaltungscloud?

(Bildquelle: 123RF.com)

In einem offenen Brief hat sich die Open Source Business Alliance (OSB) an die Mitglieder des IT-Planungsrates gewendet und fordert sie auf, keine überhasteten Verträge mit der Delos-Cloud zu beschließen. Der IT-Planungsrat, in dem die Digitalisierungsverantwortlichen der Bundesländer und des Bundes vertreten sind, trifft sich am heutigen Donnerstag (27. Juni 2024) zu einer Sondersitzung. Hintergrund der Resolution ist der überraschende Plan des Bundeskanzleramtes, auf die „souveräne Cloud für den öffentlichen Dienst“ von Delos, einem Zusammenschluss von Microsoft und SAP, zu setzen. Die OSB-Alliance spricht in einer Pressemitteilung von einem vom Kanzleramt ausgehenden „massiven Druck auf die Länder, damit diese unverzüglich Cloud-Verträge mit Delos, einer in Deutschland betriebenen Variante der Microsoft Azure Cloud, abschließen“. 

Deutsche Verwaltungscloud befindet sich im Aufbau

Das Vorgehen des Bundeskanzleramtes ist ungewöhnlich und widerspricht tatsächlich allen bisherigen Vereinbarungen und Aktivitäten, die im Kontext der Deutschen Verwaltungscloud (DVC) getroffen wurden und in den vergangenen Jahren geschehen sind. Zum einen sieht der Koalitionsvertrag der Bundesregierung eine Cloud der öffentlichen Verwaltung vor, die auf „einer Multi-Cloud-Strategie und offenen Schnittstellen sowie strengen Sicherheits- und Transparenzvorgaben“ basiert. Zum anderen hat der IT-Planungsrat bereits die FITKO und govdigital mit der Umsetzung der DVC beauftragt, die sich längst im Aufbau befindet. Die Multi-Cloud-Strategie sieht wohl eine Teilnahme großer IT-Unternehmen, so genannter Hyperscaler, vor, zu denen auch Delos zählt, hat sich aber zu keinem Zeitpunkt für nur einen Player ausgesprochen.

Die OSB-Alliance beklagt nun, dass durch die Initiative des Bundeskanzleramtes „offenbar schnell Fakten geschaffen werden sollen, nach denen es dann kein Zurück mehr gibt“, und führt datenschutzrechtliche, vergaberechtliche, sicherheitstechnische und strategische Bedenken an, weshalb der Regierungsvorstoß „im krassen Gegensatz zu dem steht, wofür die Bundesregierung angetreten ist“. Es hat den Anschein, als solle die komplette digitale Souveränität, um die sich die DVC bemüht, über Bord geworfen werden.

Datenschutzrechtliche Bedenken

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass das cloudbasierte Microsoft Office 365 auch persönliche Daten außerhalb der territorialen Grenzen der EU in Richtung USA abfließen lässt. Das US-amerikanische Recht wiederum sieht im Patriot Act vor, dass US-amerikanische Unternehmen wie eben Microsoft zur Herausgabe von persönlichen Nutzerdaten gezwungen werden können. Das wiederum widerspricht der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Weder das „EU-US Data Privacy Framework“ noch die Gründung von Tochterunternehmen auf europäischem oder deutschem Gebiet können die datenschutzrechtlichen Bedenken grundsätzlich zerstreuen. 

Die eingesetzte Software und die Schnittstellen seien weder offen noch unabhängig zu überprüfen, wendet die OSB-Alliance ein. Unlängst erst hatte die Datenschutzkonferenz der Länder festgestellt, dass Microsoft bislang keinen Beweis über die Datenschutzkonformität seiner Produkte erbringen konnte. Ob Wartungs- oder Telemetriedaten in Richtung USA abfließen, sei ungewiss und geschehe jedenfalls ohne Wissen der Verwaltung. „Der IT-Planungsrat verschließt vor den ungelösten Problemen die Augen und versucht sich die Delos-Cloud souveräner zu reden, als sie ist“, kritisiert die OSB-Alliance.

Schwere Sicherheitsvorfälle bei Microsoft

Darüber hinaus werden immer wieder schwere Sicherheitsvorfälle bei Microsoft bekannt, dessen intransparenter Umgang mit solchen Pannen von Sicherheitsexperten kritisiert wird. Erst im April 2024 ist es zu einer schweren Sicherheitspanne auf dem Azure-Server gekommen, wobei „Mitarbeitende des Bing-Teams sensiblen Code, Anmeldedaten und weitere interne Daten des Konzerns über einen öffentlich zugänglichen Azure-Server freigaben, der nicht durch Kennwörter geschützt war“, heißt es in einer Mitteilung von Deutschland sicher im Netz (DsiN). Im Sommer 2023 ereignete sich ein besonders aufsehenerregender Vorfall, als ein Master-Key für Azure entwendet wurde. Sogar die amerikanische Bundesbehörde für IT-Sicherheit CISA sprach damals von einem vielfachen Versagen bei der Cyber-Sicherheit und einer „Kaskade vermeidbarer Fehler“.

Zudem macht die OSB-Alliance auf vergaberechtliche Probleme aufmerksam. Es gäbe keine rechtskonforme Grundlage für den überhasteten Vertragsabschluss mit Delos durch die Bundesländer. Bestehende Rahmenverträge sähen dies nicht vor. Falls es tatsächlich zu einem entsprechenden Beschluss des IT-Planungsrates kommt, würde ein nachhaltiger strategischer Fehler begangen, weil so eine noch größere Abhängigkeit von der Microsoft-IT entsteht. „Jetzt soll über die unzähligen rechtlichen und sicherheitstechnischen Probleme schnell hinweggesehen werden, damit die Verträge abgeschlossen werden können – die US-Amerikaner sind ja unsere Verbündeten, was soll da schon passieren?“, fragt die OSB-Alliance vor dem Hintergrund der anstehenden US-Wahl.

Bärendienst für die europäischen IT-Industrie

Der europäischen IT-Wirtschaft wird damit jedenfalls ein Bärendienst erwiesen. Längst stehen souveräne Alternativen bereit wie die Private Cloud, die das ITZBund mit dem deutschen IT-Anbieter Ionos derzeit aufbaut (wir berichteten). Auch Unternehmen wie Schwarz IT, Secunet und die Deutsche Telekom entwickeln hochsichere und wettbewerbsfähige Lösungen. Zu Recht fragt die OSB-Alliance: „Warum werden diese souveränen Open-Source-Lösungen in dem Moment, wo sie anfangen, Schwungkraft zu entwickeln und erfolgreich zu werden, auf das Abstellgleis geschoben, damit eine so problembehaftete Microsoft-Lösung wie die Delos-Cloud zum Zuge kommen kann?“

Dem Vernehmen nach herrscht unter den Bundesländern eine große Uneinigkeit. Einige könnten sich auf der heutigen Sondersitzung des IT-Planungsrates für den Vertragsabschluss mit Delos aussprechen, andere, wie etwa Schleswig-Holstein, wollen mit einem eigenen Alternativvorschlag auftreten. Wie es aber überhaupt zu der jetzigen Situation kommen konnte, wer bei wem so erfolgreich antichambriert hat, sodass nicht nur der Koalitionsvertrag, sondern auch alle Ambitionen hinsichtlich Open Source, digitaler Souveränität und Resilienz schlagartig nichts mehr wert sind, das bleibt die große Frage.

Helmut Merschmann




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: IT-Infrastruktur Politik

NKR: Modernisierungsagenda bleibt zu vorsichtig

[10.12.2025] Die föderale Modernisierungsagenda ist beschlossen. Der NKR sieht darin wichtige Impulse für leistungsfähigere Verwaltungen, kritisiert jedoch vertagte Reformhebel und fordert eine konsequente Umsetzung mit starker Einbindung der Kommunen. mehr...

Ministerpräsidentenkonferenz: Eine schnellere, digitalere Verwaltung

[08.12.2025] Auf der Konferenz der 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten wurde ein 200-Maßnahmen-Paket für eine föderale Modernisierungsagenda beschlossen. Viele der Maßnahmen betreffen auch die Verwaltung und deren digitale Transformation. mehr...

Bundesdigitalminister Karsten Wildberger, im Schatten unter Bäumen, im Hintergrund ein Kanal.

BMDS: Wildwuchs der Bundes-IT zügeln

[05.12.2025] Das Bundesministerium für Digitales hat mit dem Zustimmungsvorbehalt ein wirkungsvolles Instrument erhalten, um Digitalprojekte und IT-Ausgaben über Ressortgrenzen hinweg zu steuern. So soll zentral für Kompatibilität, Effizienz und Einhaltung der strategischen Richtung gesorgt werden. mehr...

Porträt von Lydia Hüskens, mit verschränkten Armen im dunklen Blazer vor einer braunen Wand stehend

Sachsen-Anhalt: Zentrale Serviceagentur für Kommunen

[05.12.2025] Eine Machbarkeitsstudie aus Sachsen-Anhalt zeigt, dass eine zentrale Serviceagentur für Kommunen Verwaltungsabläufe beschleunigen und verbessern kann. Digitalministerin Lydia Hüskens kündigte an, dass ab 2026 sukzessive eine Unterstützungseinheit für Kommunen umgesetzt werden soll. mehr...

Blick in eine Berliner Straßenflucht, im Hintergrund der Fernsehturm.

Berlin: Digitalisierungsschub für die Wirtschaftsverwaltung

[04.12.2025] Ein Jahr nach Vorstellung des Aktionskonzepts zur Verwaltungsdigitalisierung für die Berliner Wirtschaft zieht Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey eine positive Bilanz. Vieles laufe schneller als geplant, der Digitale Wirtschaftsservice DIWI wächst und erste Medienbrüche in Gewerbeverfahren werden abgebaut. mehr...

Hendrik Wüst in Segnungspose am Rednerpult.

Staatsmodernisierung: Konferenz vor der Konferenz

[03.12.2025] Mit einer „Konferenz für einen zukunftsfähigen Staat“ in Berlin wollte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst die Weichen für die bevorstehende Ministerpräsidentenkonferenz stellen, deren zentrale Themen Bürokratieabbau und Staatsmodernisierung sein werden. mehr...

Porträt Oliver Süme

eco: Zu kleiner Etat für den digitalen Aufbruch

[02.12.2025] Im November einigte sich der Haushaltsausschuss auf den BMDS-Etat für 2026. Viel Spielraum hat das Digitalministerium dennoch nicht, moniert der Internetwirtschaftsverband eco. Die Gelder fließen größtenteils in längst geplante Vorhaben, Mittel für echte Innovationen wie etwa KI liegen bei anderen Häusern. mehr...

Gruppenfoto (Innenaufnahme): Mitglieder des It-Planungsrats im November 2025

IT-Planungsrat: Wichtige Digitalvorhaben beschlossen

[27.11.2025] Der IT-Planungsrat hat bei seiner letzten Sitzung des Jahres zentrale Beschlüsse zur Verwaltungsdigitalisierung gefasst. Er konkretisiert die EUDI-Wallet-Anbindung, übernimmt den KI-Marktplatz MaKI, stärkt Open-Source-Beschaffung und verstetigt die EfA-Lenkungsgruppe. mehr...

Bis zum Jahr 2030 soll es in Deutschland Glasfaser flächendeckend bis ins Haus geben.

Föderale Modernisierungsagenda: Jetzt muss gehandelt werden

[25.11.2025] Der Nationale Normenkontrollrat mahnt die in der Föderalen Modernisierungsagenda vorgesehene bessere Aufgabenbündelung mit Nachdruck an. Die Ministerien müssten dieses Projekt konsequent weiterverfolgen, um Effizienz und Entlastung der Kommunen zu sichern. mehr...

Blick über vollbesetzten Konferenztisch mit Landeswimpeln, großer Unschärfebereich im Vordergrund, Fokus iegt auf Schleswig-Holsteins Digitalminister Dirk Schrödter

Digitalministerkonferenz: Verwaltung im Fokus

[25.11.2025] Auf der vierten Digitalministerkonferenz fassten die Digitalministerinnen und -minister der Länder zentrale Beschlüsse zur Staats- und Verwaltungsmodernisierung. Sie wollen den Deutschland-Stack vorantreiben, wollen „Digital Only“ verbindlich verankern und fordern Tempo bei der Registermodernisierung. mehr...

Registermodernisierung: NOOTS-Staatsvertrag verabschiedet

[24.11.2025] Das Gesetz zum Staatsvertrag über das Nationale Once-Only-Technical-System hat den Bundesrat passiert. Nach Angaben der Bundesregierung kommt damit die Registermodernisierung von Bund, Ländern und Kommunen voran. mehr...

Blick von oben in einen abgedunkelten, großen, hohen Konferenzraum mit viel Publikum. Au der blau beleuchteten Bühne sieht man Karsten Wildberger.

EU-Summit: Das war der Gipfel zur europäischen Digitalen Souveränität

[20.11.2025] Der Gipfel für Europäische Digitale Souveränität brachte rund 1.000 Spitzenvertreterinnen und -vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in Berlin zusammen. Das BMDS sieht darin den Startschuss für ein wettbewerbsfähigeres und souveräneres Europa. mehr...

Bundesdigitalminister Karsten Wildberger spricht im Bundestag.

Bund/BMDS: Der Digitalhaushalt steht

[17.11.2025] Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat den Haushalt 2026 für das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung mit einem Gesamtvolumen von rund 4,47 Milliarden Euro gebilligt. Damit verfügt das BMDS erstmalig über einen eigenen, vollständigen Einzelplan, hinzu kommen Mittel aus dem Sondervermögen. mehr...

Thüringer Wappen

Thüringen: Ärmel hoch für Bürokratierückbau

[14.11.2025] Die Thüringer Landesregierung hat das Erste Thüringer Entlastungsgesetz initiiert. Es soll Bürokratie abbauen, Verfahren digitalisieren und Kommunen, Wirtschaft sowie Bürgerinnen und Bürger entlasten. Der Landtag berät voraussichtlich noch im Dezember über das Gesetz. mehr...

Hamburg-CIO Annika Busse

Hamburg: Annika Busse ist die neue CIO

[10.11.2025] Annika Busse ist die neue CIO der Freien und Hansestadt Hamburg. Die bisherige stellvertretende Hamburg-CIO hat zum 1. November die Nachfolge von Jörn Riedel angetreten, der nach langjährigem Wirken in den Ruhestand verabschiedet wurde. mehr...