InterviewIm digitalen Maschinenraum
Herr Staatssekretär Richter, Sie haben seit Mai das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik inne. Welche Ziele und Schwerpunkte haben Sie sich gesetzt?
In den Gesprächen mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundesinnenministerium ist mir schnell klar geworden: Ich bin hier im Maschinenraum der Digitalisierung angekommen. Ob Digitale Gesellschaft, Digitale Verwaltung oder Cyber-Sicherheit – kein anderes Ressort bündelt so viele Kompetenzen im digitalen Bereich wie das Bundesinnenministerium. Mein Ziel ist, die Fortschritte und Entwicklungen durch konkrete Erfolge erlebbar zu machen. Dazu habe ich die neun aus meiner Sicht wichtigsten Punkte in einem Digitalisierungsplan zusammengestellt. Darin findet sich zum Beispiel der Online-Ausweis, ein Kennzeichen für IT-Sicherheit und die Digitalakademie. Mit diesem Neun-Punkte-Plan möchte ich in den kommenden Monaten vorankommen.
Welche Erfahrungen aus Ihrer Arbeit beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kommen Ihnen in dem neuen Amt zugute?
Um aus eingefahrenen Bahnen heraus zu kommen, braucht man manchmal einen Anstoß von außen. Genau so einen Anstoß haben wir im BAMF während der Flüchtlingskrise erhalten, als hunderttausende Flüchtlinge in sehr kurzer Zeit nach Deutschland kamen. Ihre Versorgung, Registrierung und Integration wurden zur Mammutaufgabe für Staat und Gesellschaft. Allein die Bearbeitung der Asylverfahren nach dem ursprünglichen System mit vielen analogen Schnittstellen zu anderen Behörden hätte die Verwaltung auf Jahre lahmgelegt. In kurzer Zeit wurden damals neue Verfahren eingeführt – vollständig digital und medienbruchfrei. Da ist mir noch einmal bewusst geworden, wie schnell die Verwaltung reagieren kann, wenn es sein muss. Heute sind wir in einer ähnlichen Situation. Corona führt uns vor Augen, wie wichtig digitale Prozesse für einen resilienten Staat sind.
„Das OZG ist ein Herkulesprojekt und komplex in der Umsetzung.“
Wie wird das Neun-Punkte-Programm die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranbringen?
Wir wollen das Onlinezugangsgesetz bis 2022 im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer umsetzen. Daher müssen wir jetzt die entscheidenden Weichen stellen, etwa bei der Registermodernisierung, der Nachnutzung bereits entwickelter Leistungen oder der elektronischen Identifizierung. Dafür setze ich mich auch als Vorsitzender des IT-Planungsrats ein. Die Umsetzung dieser zentralen Maßnahmen wird mit einem straffen Controlling hinterlegt, sodass wir die Fortschritte der Projekte besser im Blick haben und kurzfristig nachsteuern können.
Ist der Zeitrahmen für die Umsetzung des OZG noch zu halten oder ist bereits ein OZG 2.0 in Planung?
Wir sind auf einem guten Weg. In diesem Jahr gehen weitere wichtige Leistungen online, wie die Anträge für BAföG, Einbürgerung und den Führerschein. Das OZG ist ein Herkulesprojekt und komplex in der Umsetzung. Bisher haben wir hauptsächlich mit Leuchtturmprojekten geglänzt. Wir sind jetzt in der Umsetzungsphase angelangt. Nun kommt es darauf an, dass wir die Online-Verfahren aus den Digitalisierungslaboren und den Pilotkommunen auch in die Fläche bringen. Es gibt das eine Onlinezugangsgesetz und das wollen wir erfüllen. Derzeit gibt es keine Planung für eine Art OZG 2.0.
Das von Ihnen propagierte Einer-für-alle-Prinzip findet nicht überall Zustimmung.
Wir stehen weiterhin hinter dem Prinzip, welches auch im Konjunkturpaket bekräftigt wurde. Es bedeutet, dass eine digitale Lösung nur einmal in einem Land entwickelt und dann länderübergreifend von allen anderen nachgenutzt wird. So können Bürgerinnen und Bürger oder Unternehmen in jedem Bundesland auf die gleichen Online-Services zurückgreifen. Dabei werden die etablierten OZG-Programm- und Themenfeldstrukturen genutzt und keine neue bürokratische Verteilungsstruktur aufgebaut. Das spart Zeit und reduziert die Kosten.
Inwiefern werden die Kommunen von den Mitteln aus dem Konjunkturpaket profitieren?
Wir wollen Länder und Kommunen durch die zusätzlichen Gelder aus dem Konjunkturpaket bei der OZG-Umsetzung deutlich entlasten. Der Einsatz der Mittel ist dabei direkt an die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen nach dem Einer-für-Alle-Modell geknüpft. Die Bundesmittel werden direkt für Digitalisierungsprojekte eingesetzt. Die Länder und ihre Kommunen haben den Vorteil, dass sie die Online-Dienste nicht selbst entwickeln und implementieren müssen.
Auch an der OZG-Umsetzung sind Consultingfirmen beteiligt. Teure Beraterverträge stehen aber immer wieder in der Kritik.
Wir brauchen Beratung in drei Bereichen, da ist sie gerechtfertigt: Dort wo es zeitkritisch ist, wo die Komplexität sehr hoch ist und wo es unvorhergesehene extreme Ressourcenengpässe gibt. Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes erfüllt alle drei Punkte. Aber auch ich sehe es kritisch, wenn Beratung zum Dauereinsatz wird. Die Linienarbeit der Verwaltung darf nicht durch Beratungsarbeit abgelöst werden. Mir ist es daher wichtig, Kompetenzen verstärkt inhouse aufzubauen, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu befähigen, Dinge selbst zu erledigen.
In welchen Digitalisierungsbereichen ist die öffentliche Verwaltung in Deutschland aus Ihrer Sicht gut aufgestellt?
Wir machen bei der OZG-Umsetzung Fortschritte. Gerade in der Corona-Zeit haben wir gezeigt, wie wir im Digitalisierungsprogramm schnell auf die Krise reagiert haben: So hat zum Beispiel ein Express-Digitalisierungslabor innerhalb von einem Monat Online-Verfahren für die Entschädigung von Verdienstausfällen entwickelt. Damit können Arbeitgeber und Selbstständige nun auf digitalem Wege eine Entschädigung für Verdienstausfälle beantragen, die aufgrund einer behördlich angeordneten Schul- und Kitaschließung oder Quarantäne entstanden sind. Außerdem wurde der Online-Antrag für Arbeitslosengeld II im Eilverfahren fertig gestellt und ist seit Juni verfügbar.
Was erwarten Sie von der Verwaltung der Zukunft?
Ich erwarte, dass ´Verwaltung` für die Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen einfach handhabbarer wird. Um Leistungen zu beantragen, müssen keine Papierformulare mehr ausgefüllt werden. Die Daten werden in intuitive Formulare eingegeben, digitale Antragsassistenten bieten Hilfe bei Fragen oder Unklarheiten und prüfen die Eingaben im besten Falle sofort auf Plausibilität. Je nach Art der Leistung sind bestimmte Daten bereits hinterlegt oder werden automatisch übernommen. Die Übermittlung erfolgt ohne Unterschrift mit elektronischer Identifizierung. Auch die Bearbeitung erfolgt teilautomatisch und damit schneller. Selbst im Fall eines Lockdown wie unter Corona können die Mitarbeitenden der Verwaltung Anträge digital entgegennehmen und aus dem Homeoffice bearbeiten. Für diejenigen, die Hilfe benötigen, wird es aber trotzdem einen analogen Ansprechpartner geben, der persönlich weiterhilft. Der Mensch sollte auch in der Verwaltung der Zukunft eine wichtige Rolle spielen.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Oktober 2020 von Kommune21 erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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