Smart Country ConventionKein Ende in Sicht

[27.10.2021] Aus dem Onlinezugangsgesetz (OZG) soll ein Verwaltungszukunftsgesetz werden. Auf der Smart Country Convention, die am Dienstag und Mittwoch dieser Woche in hybrider Form stattfindet, wird über die OZG-Frist Ende 2022 hinaus gedacht.
Die Smart Country Convention fand als digitale Special Edition statt. Zu den Keynote-Speakern gehörte unter anderem EU-Vizepräsidentin Margrethe Vestager.

Die Smart Country Convention fand als digitale Special Edition statt. Zu den Keynote-Speakern gehörte unter anderem EU-Vizepräsidentin Margrethe Vestager.

(Bildquelle: Messe Berlin GmbH)

Fast scheint es, als sei die Verwaltungsdigitalisierung eine Fata Morgana: Je mehr man sich dem selbstgesetzten Ziel nähert, desto weiter rückt es in die Ferne. Das gilt insbesondere für das Onlinezugangsgesetz (OZG), das bis Ende des kommenden Jahres 575 zu realisierende Online-Dienste bei Bund, Ländern und Kommunen vorschreibt. Und wie bei einer echten Fata Morgana handelt es sich dabei nicht um eine Sinnestäuschung, wenn die Hauptakteure nun feststellen, dass das alles nicht mehr zu schaffen ist, sondern um quasi physikalische Phänomene. Großen Antrieb und viel Schwung hat das OZG in die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen gebracht, doch nun ist klar, dass Zeit und Kraft nicht mehr ausreichen, um fristgerecht und flächendeckend liefern zu können. Infolgedessen gilt das OZG nun als „hervorragende Grundlage“ und als „Beginn“ einer weiter andauernden Beschäftigung mit der öffentlichen Digitalisierung.
Zum Eindruck einer Fata Morgana trägt auch bei, dass – obwohl nun einige wichtigen OZG-Leistungen online verfügbar sind – die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Digitalisierung laut aktuellem eGovernment Monitor 2021 zugenommen hat (wir berichteten). Die Zeit bleibt nicht stehen, und je mehr sich die Menschen an elektronische Dienste aus der Wirtschaft gewöhnt haben, desto größer wird die Erwartungshaltung gegenüber der Verwaltung. Der öffentliche Sektor muss liefern – auch hierin besteht auf Veranstaltungen wie der Smart County Convention große Übereinkunft – und gleichzeitig die Zukunft weiterplanen. Das OZG betrifft ja nur die Schnittstelle vom Bürger zur Verwaltung. Darüber hinaus müssen die Fachverfahren angepasst, die Register modernisiert und nach dem Once-Only-Prinzip ausgerichtet werden.

Lohnender Blick nach Estland

Hier lohnt ein Blick ins Baltikum, nach Estland, von dem es immer heißt, die dortigen Verhältnisse seien nicht übertragbar auf das föderal organisierte Deutschland. Und wo die Kindesgeburt schon seit Jahren eine Kette von automatisierten Verwaltungsakten und Registerzugriffen in Gang setzt, sodass gleich am Folgetag der Bescheid über Sozialleistungen im Mail-Postfach liegt. Henrik Lume von der estnischen Beratungsfirma Nortal benannte in einem Vortrag die vier digitalen Erfolgsfaktoren des kleinen Landes, die recht vernünftig klingen: Erstens eine hohe Datenqualität nach stringenten Mustern, zweitens eine einheitliche elektronische ID, drittens elektronische Signaturen als Schriftformersatz und viertens Interoperabilität zwischen Staat und Wirtschaft. Von allen Punkten ist man hierzulande noch weit entfernt, und dennoch sind sie die Voraussetzung für das weitere Gelingen.
In Estland hat man von Anbeginn auf den elektronischen Ausweis gesetzt, der gleichzeitig auch für wirtschaftliche Transaktionen wie Banking genutzt wird. 1,5 Milliarden Transaktionen werden damit pro Jahr in einem Land mit 1,2 Millionen Einwohnern getätigt. Hierzulande müssen Akteure wie Stephan Klein vom Unternehmen Governikus, das die Ausweis-App entwickelt hat, ständig daran erinnern, dass ein digitaler Pass längst vorliegt und es nun an der Zeit sei, diesen mit großem Marketing-Aufwand unters Volk zu bringen sowie seine Bedeutung und Funktion zu erklären.

Ohne die Privatwirtschaft geht es nicht

Als die US-Firma Apple unlängst die Möglichkeit eröffnete, Führerschein und Personalausweis digital in der so genannten Wallet auf dem iPhone zu hinterlegen, überkam viele ein ungutes Gefühl: Staatliche Hoheitlichkeit an Privatunternehmen abgeben? An diesem Einwand ist vielleicht nur richtig, dass man sie im Zuge der Sorge um digitale Souveränität nicht unbedingt einem amerikanischen Unternehmen anvertrauen sollte. Doch ohne die Privatwirtschaft geht es offenbar nicht voran.
Für Lars Zimmermann vom neu gegründeten GovTech Campus, einem Zusammenschluss von öffentlicher Verwaltung, Wissenschaft und Gründerszene, muss es Wege geben, damit „externe Innovationen in den Staat gelangen“. Der Staat sei kein Innovator und könne keine Technologien entwickeln, sondern diese nur bereitstellen und nutzen, so Zimmermann. Infolgedessen will sich der Campus ab nächstem Jahr als Marktplatz für die GovTech-Szene etablieren.

Weiter große Herausforderungen

Um weitreichende und wichtige Kooperationen mit der Privatwirtschaft kommt der öffentliche Sektor folglich nicht umhin. Das fängt bei GAIA-X mit den dominant auftretenden Hyperscalern an und hört beim IT-Mittelstand mit seinen etablierten Fachverfahren nicht auf. Die Aufgabenliste und damit die Herausforderungen wachsen weiter an. Allein das OZG hat viele bislang ungeklärte Fragen aufgeworfen: Wie sollen die Organisation und Finanzierung der Einer-für-Alle-(EfA)Dienste funktionieren? Wie können existierende Fachverfahren daran angebunden werden? Wer kommt für Pflege und Wartung der Systeme auf?
William Schmitt, Vitako-Vorstand und Vorstand des baden-württembergischen IT-Dienstleisters Komm.ONE, brachte die bundesweite govdigital-Genossenschaft, in der kommunale und öffentliche IT-Dienstleister und Städte organisiert sind, ins Spiel, um die OZG-Umsetzung zu beschleunigen: „Sinnvoll wäre eine gemeinsame Entität“, so Schmitt, „die die Power hat, den Leistungsaustausch zu betreiben“. Gedacht ist an einen Marktplatz für EfA-Dienste, Standards und Fachverfahren.

Abhängigkeiten auflösen

Auch aus europäischer Perspektive sind die nächsten Jahre entscheidend, um aus diesem Jahrzehnt tatsächlich eine „Digital Decade 2030“ zu machen. EU-Vizepräsidentin und Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager machte in ihrer Keynote deutlich, dass in Europa vor allem das Bewusstsein für Skalierung fehle. Es gebe Innovationen, Gründer und gute Ideen unter den vielen kleinen und mittelständischen europäischen IT-Unternehmen. Woran es jedoch hapere, sei schnelles Wachstum.
Tags zuvor hatte sich Vestager mit politischen Koalitionären getroffen, um Mitstreiter für die Regulierung der Tech-Giganten zu finden. Auf der Smart Country Convention betonte sie, dass Europa zu abhängig sei von Chips aus China und Software und Plattformen aus den USA. Sie versprach größere Investitionen in die Ausbildung von Expertinnen und Experten: „Man darf nicht nur Ziele definieren und Fördergelder bereitstellen, sondern wir brauchen vor allem fähige, gut ausgebildete Menschen“.

Helmut Merschmann




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik

Thüringen: Neue Digitalstrategie beschlossen

[19.12.2025] Das Thüringer Kabinett hat eine neue Digitalstrategie beschlossen, welche die Verwaltungsdigitalisierung bündeln und beschleunigen soll. Kernpunkte sind eine zentrale Steuerung, einheitliche IT-Standards und ab 2026 eine App, über die Behördenleistungen per Smartphone zugänglich werden sollen. mehr...

IT-Planungsrat: 2025 war ein Jahr der Meilensteine

[19.12.2025] Mecklenburg-Vorpommern hatte in diesem Jahr den Vorsitz im IT-Planungsrat inne und nun eine positive Bilanz gezogen. 2025 sei ein Meilenstein-Jahr auf dem Weg zur digitalen Entlastung von Bürgerinnen und Bürgern sowie der Unternehmen gewesen. mehr...

Die rheinland-pfälzische Digitalministerin Dörte Schall.

Rheinland-Pfalz: Digitalprogramm 2026/2027 beschlossen

[18.12.2025] Das Landeskabinett Rheinland-Pfalz hat die Fortschreibung der Digitalstrategie von 2023 beschlossen. Deren Inhalte wurde in einem breit angelegten Beteiligungsprozess erarbeitet. mehr...

NKR: Modernisierungsagenda bleibt zu vorsichtig

[10.12.2025] Die föderale Modernisierungsagenda ist beschlossen. Der NKR sieht darin wichtige Impulse für leistungsfähigere Verwaltungen, kritisiert jedoch vertagte Reformhebel und fordert eine konsequente Umsetzung mit starker Einbindung der Kommunen. mehr...

Ministerpräsidentenkonferenz: Eine schnellere, digitalere Verwaltung

[08.12.2025] Auf der Konferenz der 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten wurde ein 200-Maßnahmen-Paket für eine föderale Modernisierungsagenda beschlossen. Viele der Maßnahmen betreffen auch die Verwaltung und deren digitale Transformation. mehr...

Bundesdigitalminister Karsten Wildberger, im Schatten unter Bäumen, im Hintergrund ein Kanal.

BMDS: Wildwuchs der Bundes-IT zügeln

[05.12.2025] Das Bundesministerium für Digitales hat mit dem Zustimmungsvorbehalt ein wirkungsvolles Instrument erhalten, um Digitalprojekte und IT-Ausgaben über Ressortgrenzen hinweg zu steuern. So soll zentral für Kompatibilität, Effizienz und Einhaltung der strategischen Richtung gesorgt werden. mehr...

Porträt von Lydia Hüskens, mit verschränkten Armen im dunklen Blazer vor einer braunen Wand stehend

Sachsen-Anhalt: Zentrale Serviceagentur für Kommunen

[05.12.2025] Eine Machbarkeitsstudie aus Sachsen-Anhalt zeigt, dass eine zentrale Serviceagentur für Kommunen Verwaltungsabläufe beschleunigen und verbessern kann. Digitalministerin Lydia Hüskens kündigte an, dass ab 2026 sukzessive eine Unterstützungseinheit für Kommunen umgesetzt werden soll. mehr...

Blick in eine Berliner Straßenflucht, im Hintergrund der Fernsehturm.

Berlin: Digitalisierungsschub für die Wirtschaftsverwaltung

[04.12.2025] Ein Jahr nach Vorstellung des Aktionskonzepts zur Verwaltungsdigitalisierung für die Berliner Wirtschaft zieht Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey eine positive Bilanz. Vieles laufe schneller als geplant, der Digitale Wirtschaftsservice DIWI wächst und erste Medienbrüche in Gewerbeverfahren werden abgebaut. mehr...

Hendrik Wüst in Segnungspose am Rednerpult.

Staatsmodernisierung: Konferenz vor der Konferenz

[03.12.2025] Mit einer „Konferenz für einen zukunftsfähigen Staat“ in Berlin wollte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst die Weichen für die bevorstehende Ministerpräsidentenkonferenz stellen, deren zentrale Themen Bürokratieabbau und Staatsmodernisierung sein werden. mehr...

Porträt Oliver Süme

eco: Zu kleiner Etat für den digitalen Aufbruch

[02.12.2025] Im November einigte sich der Haushaltsausschuss auf den BMDS-Etat für 2026. Viel Spielraum hat das Digitalministerium dennoch nicht, moniert der Internetwirtschaftsverband eco. Die Gelder fließen größtenteils in längst geplante Vorhaben, Mittel für echte Innovationen wie etwa KI liegen bei anderen Häusern. mehr...

Gruppenfoto (Innenaufnahme): Mitglieder des It-Planungsrats im November 2025

IT-Planungsrat: Wichtige Digitalvorhaben beschlossen

[27.11.2025] Der IT-Planungsrat hat bei seiner letzten Sitzung des Jahres zentrale Beschlüsse zur Verwaltungsdigitalisierung gefasst. Er konkretisiert die EUDI-Wallet-Anbindung, übernimmt den KI-Marktplatz MaKI, stärkt Open-Source-Beschaffung und verstetigt die EfA-Lenkungsgruppe. mehr...

Bis zum Jahr 2030 soll es in Deutschland Glasfaser flächendeckend bis ins Haus geben.

Föderale Modernisierungsagenda: Jetzt muss gehandelt werden

[25.11.2025] Der Nationale Normenkontrollrat mahnt die in der Föderalen Modernisierungsagenda vorgesehene bessere Aufgabenbündelung mit Nachdruck an. Die Ministerien müssten dieses Projekt konsequent weiterverfolgen, um Effizienz und Entlastung der Kommunen zu sichern. mehr...

Blick über vollbesetzten Konferenztisch mit Landeswimpeln, großer Unschärfebereich im Vordergrund, Fokus iegt auf Schleswig-Holsteins Digitalminister Dirk Schrödter

Digitalministerkonferenz: Verwaltung im Fokus

[25.11.2025] Auf der vierten Digitalministerkonferenz fassten die Digitalministerinnen und -minister der Länder zentrale Beschlüsse zur Staats- und Verwaltungsmodernisierung. Sie wollen den Deutschland-Stack vorantreiben, wollen „Digital Only“ verbindlich verankern und fordern Tempo bei der Registermodernisierung. mehr...

Registermodernisierung: NOOTS-Staatsvertrag verabschiedet

[24.11.2025] Das Gesetz zum Staatsvertrag über das Nationale Once-Only-Technical-System hat den Bundesrat passiert. Nach Angaben der Bundesregierung kommt damit die Registermodernisierung von Bund, Ländern und Kommunen voran. mehr...

Blick von oben in einen abgedunkelten, großen, hohen Konferenzraum mit viel Publikum. Au der blau beleuchteten Bühne sieht man Karsten Wildberger.

EU-Summit: Das war der Gipfel zur europäischen Digitalen Souveränität

[20.11.2025] Der Gipfel für Europäische Digitale Souveränität brachte rund 1.000 Spitzenvertreterinnen und -vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in Berlin zusammen. Das BMDS sieht darin den Startschuss für ein wettbewerbsfähigeres und souveräneres Europa. mehr...